Wo ist nur mein süßes Kind geblieben? Über die Herausforderung, die Bindung zu unseren Teenagern aufrecht zu erhalten

04/09/2023

von Robin Brooks-Sheriff

Jeder der einmal Zeit mit einem jungen Teenager verbracht hat, weiß, dass dieser in einem Moment liebenswürdig und faszinierend sein kann und im nächsten Moment irrational und wütend. Die Emotionen eines Jugendlichen sind stark und der präfrontale Kortex befindet sich im Umbau, was zu unglaublichen Höhen, verzweifelten Tiefen, reifen Einsichten und impulsiven Reaktionen führt - und dies zuweilen im Laufe eines einzigen Tages. 

Die frühen Teenagerjahre können für Eltern unglaublich hart sein. Zwischen 11 und 13 Jahren werden unsere ehemals vernünftigen Kinder häufig ausgesprochen allergisch gegenüber jeglichen Anweisungen. Sie können rücksichtslos erscheinen, sich ungestüm verhalten und sogar Wutanfälle bekommen. 

Selbst wenn wir zuvor mit unserem Kind eine enge Beziehung hatten, kann es gut sein, dass es nun uns gegenüber seine Augen verdreht und uns unmißverständlich wissen lässt, wie falsch wir doch bezüglich gewisser Dinge liegen. Es scheint so, als habe es alles vergessen, was wir ihm jemals beigebracht haben - angefangen von Manieren bis hin zur Sicherheit im Straßenverkehr. Viele Erwachsene raufen sich verzweifelt die Haare und haben das Gefühl, sie hätten als Eltern und Lehrer völlig versagt. Sie fragen sich: Wo ist meine Fürsorge und Erziehung der letzten 12 Jahre geblieben? 

Aber unsere Fürsorge und Erziehung war keineswegs umsonst. Wir sind als Eltern und Lehrer einfach nur wieder in die Pubertät gekommen. Dieses Mal als diejenigen, die unsere Jugendlichen durch diese Übergangsphase hindurch begleiten! Wenn wir es beim ersten Mal als harten Ritt erlebt haben, so wird es dieses Mal wahrscheinlich auch recht ruckelig zugehen. Dabei sind Körpergerüche und Wachsttumsschübe, Schamhaare und Büstenhalter eher der einfache Part verglichen mit den emotionalen Höhen und Tiefen, durch die wir unsere Teenies nun hindurch begleiten müssen.

Wozu also dieser ganze Aufruhr? Es leuchtet ein, dass die körperlichen Veränderungen notwendig sind, um den Körper auf die Fortpflanzung vorzubereiten. Aber was ist Sinn und Zweck der wilden Gemütsschwankungen und der Weigerung, zu kooperieren? Die Natur scheint hier Raum zu schaffen für ein neues, zunächst experimentelles Selbst, das sich in seine eigene Persönlichkeit hinein entwickelt.  

Im ersten Lebensjahrzehnt können wir unseren Kindern unsere Werte, Überzeugungen, Vorlieben und Prioritäten vermitteln - danach beginnt der werdende Jugendliche, neue Ideen auszuprobieren, die gänzlich seine eigenen sind.  Davon sind einige süß und vorübergehend, manche bizarr und eigentümlich, wieder andere können sogar gefährlich sein; allen jedoch ist gemeinsam, dass sie wenig gemäßigt sind und bestimmt sind von Schwarz-Weiß-Denken. Während dieser entscheidende Prozess des Entdeckens seiner ureigenen Gedanken und Ideen beginnt, baut die Natur eine Art psychologische Mauer, um die Außenwelt fernzuhalten.

Wenn manchmal der Eindruck entsteht, man spreche gegen eine Art von Mauer, ist dem tatsächlich ein wenig so. Und ja, ein Jugendlicher denkt tatsächlich nur an sich selbst. Aber dies ist aus gutem Grund so - denn dahinter steht ein Plan der Natur. 

Sobald wir verstehen, was hier passiert, wird uns unsere Rolle und Aufgabe klarer: Es geht darum, unseren jungen Teenager vor harter Kritik, vor Beschämung und häufig auch vor sich selbst zu schützen. Es geht darum, seine Entfaltung zu unterstützen. Und dabei mit wohlwollendem Blick den zuweilen unbeholfenen Ausdruck, die Skuriliität seiner Ideen oder auch die Explosion von Frustration zu begleiten, wenn wir unseren Teenager beispielsweise davon abhalten, mit dem Fahrrad ein Auto zu überspringen. Denn wir tun es für sie, ähnlich wie in der Kleinkindphase des „alles selber machen“ Wollens. Wir lassen sie ausprobieren und unterstützen ihren Einsatz während wir uns gleichzeitig um ihre Sicherheit und ihren körperlichen und emotionalen Schutz kümmern. Obgleich sie rücksichtslos gegenüber anderen sein mögen (uns eingeschlossen), ist dies der Moment, in dem wir als Eltern für sie da sein und sie mit Würde und Fürsorge begleiten müssen. 

Für Jugendliche ist es aufregend, zu ihrem eigenen Selbst zu werden. Doch es ist gleichzeitig auch unglaublich beängstigend und verletzlich. Dabei ist das Wichtigste, dass wir als Eltern an ihnen festhalten und ihnen zur Seite stehen. Das kann hart sein, denn häufig hat es den Anschein, als würden sie uns von sich wegschieben. 

Dennoch ist es an uns, Wege zu finden, um an ihrer Seite zu bleiben. Sie brauchen nichts mehr, als uns an ihrer Seite zu wissen - komme was wolle. Wir müssen sie sowohl körperlich als auch  emotional nähren und ihnen einen stabilen und starken Heimathafen zur Verfügung stellen. Doch am allerwichtigsten ist es, dass wir für die Beziehung die volle Verantwortung übernehmen. 

Das mag nach einer großen Aufgabe klingen, vor allem wenn ihr Teenager sie gerade einmal wieder zum Teufel wünscht. Und in der Tat ist es eine große Aufgabe. Einen Jugendlichen als Eltern zu begleiten, lässt uns selbst wachsen und reifen. Es verlangt es uns ab, Gnade walten zu lassen und unaufgefordert Gesten der Großzügigkeit anzubieten - gänzlich ohne Erwartung von Gegenseitigkeit.

Während ein Pubertierender gerade von extremer Emotionalität überwältigt ist, können wir beispielsweise darauf verzichten, ihm böse Absichten zu unterstellen. Stattdessen können wir einfach feststellen: „Das hier klappt offensichtlich gerade nicht besonders gut. Lass’ uns eine Pause machen. Wir können uns später bei einem Snack wiedersehen und gemeinsam einen schönen Film schauen!“ Das ist gelebte Gnade!  

Wenn also das nächste Mal der Nachmittag mit ihrem Teenager völlig aus dem Ruder läuft, können Sie sich ihn als 3jährigen vorstellen und ihn liebevoll umarmen (falls er es zulässt). Schauen Sie, dass Sie etwas finden worüber sie beide lachen können, seien Sie spielerisch, nähren Sie ihn und vertrauen Sie darauf, dass Ihre Beziehung auf lange Sicht Früchte tragen wird. Dies können harte Jahre sein, in denen unsere Pubertierenden den Übergang vom Kind zum Erwachsenen durchlaufen. Es ist eine schwierige und beängstigende Zeit für sie, die angefüllt ist mit großen Gefühlen und neuen Einsichten. 

Wir können unsere Teenager nicht vor den Gefahren dieser Reise schützen, aber wir können treu die Verbindung zu ihnen halten und stetig und verlässlich an ihrer Seite bleiben - Snacks und  Taschentücher inklusive.

 

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